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»Wir haben in den vergangenen Jahren gesündigt. Viele Firmen haben Stellenabbau über die Invalidenversicherung betrieben«.

Nun man liebt reuige Sünder. Warum denn plötzlich diese Einsicht?

Selbstverständlich deshalb, weil die Invalidisierungen zwar die Lohnlisten der Unternehmen entlasten, allerdings nur um den Preis, um ein paar Jahre später als Klumpenrisiko den Pensionskassen der gleichen Unternehmen wieder anzuhaften.

Es ist hier gewissermassen der Fluch der bösen Tat, bzw. das einfache Verschieben von Kosten, ohne dass ein Problem gelöst worden wäre, das sich gezeigt hat.

Die Pensionskasse muss laut Gesetz die Differenz zwischen der Invalidenrente und 90 % des letzten versicherten Lohns übernehmen. Das schlägt zu Buche, besonders nachdem in der letzten Börsenblase, die Pensionsakssenamanger mit den ihnen anvertrauten Geldern Roulette gespielt haben und Milliarden hart verdienter Franken in Schall und Rauch haben aufgehen lassen. Eine Folge davon ist die Senkung der Verzinsung gewesen, mit der Folge, dass für die zukünfitgen RentnerInnen die Renten sinken, bzw. die Kapitalien massiv erhöht werden müssen.

Die Zahlen über die Belastungen der Pensionskassen durch die Personalpolitik der auf die Quartalsberichte und Börsenkapitalisierung des Unternehmens schielenden Manager – allesamt beziehen sie satte Einkommen, die Spitzenverdiener bis zu 100'000 Franken pro Tag, soviel wie ihre schlechtbezahltesten Angestellten in einem Jahr nicht verdienen – sind happig.

Im Jahre 2002 mussten die Pensionskassen – ach du mein Schreck – 2,1 Milliarden Franken an Invalidenrenten bezahlen, rund ein Fünftel mehr als zwei Jahre zuvor, und mehr als das Doppelte als 1991.

Schöne Grüsse vom Neoliberalismus möchte man sagen, wenn man zynisch sein wollte – wollen wir aber nicht, denn zynisch sein ist schlecht und macht schlechte Stimmung in der Spassgesellschaft.

Die Pensionskasse des Kantons Zürich – noch immer heisst sie unzeitgemäss »Beamtenversicherungskasse« – verzeichnet eine Verdoppelung solcherart motivierter Zahlungen in den letzten zehn Jahren. Hat das zu tun mit bestimmten PolitikerInnen, die dort im Regierungsrat gesessen haben und noch immer sitzen?

Der Trend scheint ungebrochen, zumal der Artikel noch zu berichten weiss, dass rund ein Viertel der Bankangestellten Beruhigungsmittel und Antidepressiva – kein Wunder bei dieser Börsenstimmung – nimmt. Die zweistelligen Kapitalrenditen zeigen offenbar personale Wirkung, Bonus hin Bonus her.

Der Malus fällt offenbar ebenfalls individualisiert an, wer die Spannung nicht aushält, dem schlägt sie auf's Gemüt, was wiederum jenen Freude bereitet, die mit den auf das Gemüt wirkenden Pillen Geld zu verdienen wissen. So rezyklieren sich die selbst erzeugten Spannungen des Systems über die Leiden der Individuen wieder ins Geschäft.

Das alles erfreut aber selbstverständlich jene nicht, die mit dem Pensionskassengeschäft geschäften.

Also überwälzen sie die gestiegenen Kosten auf die jeweiligen Prämien.

Diese sollen denn auch in den letzen fünf Jahren zwischen  30 und 80 Prozent gestiegen sein. Das Management zeigt sich »not amused«.

Die IV selbst ist froh über die Beichte des Unternehmers und Andreas Dummermuth, der Präsident der IV-Stellenleiterkonferenz, lässt sich folgendermassen zitieren: »Die Invalidisierung ist nicht ein Problem der Invalidenversicherung allein«.

Wer so oft in der Kritik steht, atmet auf, wenn es auch einmal einen anderen trifft. Dummermuth fordert, dass sich nun alle Partner für eine »eingliederungsorientiert Schadenserledigung« zusammenfinden.

Diese Formulierung wird bestimmt all jene erbauen, die einen Gesundheitsschaden mit dauernder Beeinträchtigung ihrer Arbeitsfähigkeit erlitten haben. Auf die »eingliederungsorientierte Schadenserledigung« vor allem auf ihre Erledigung haben sie vermutlich gerade noch gewartet.

Aber hoppla, da sind wir schon wieder leicht polemisch geworden im Formulieren, sollen und wollen wir ja auch gar nicht.

Gestört hat mich diese technizistische Sprachregelung, die genau jener Logik entspricht, welche die Invalidieserung befördert, die Betrachten der Menschen als blosse Produktionsfaktoren.

Und zuguterletzt wird in diesem Artikel auch der Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, Peter Hasler, zitiert, der guteidgenössisch, aber dennoch glasklar festhält: »Wir brauchen beide Wege, wie sie der Bundesrat vorschlägt«.

Das war gewissermassen der guteidgenössische Teil seines Statments und nun kommt es noch glasklarer: »Die IV muss in erster Linie mit Sparmassnahmen sowie Massnahmen für Prävention und Wiedereingliederung ins Lot gebracht werden, allenfalls, wenn das nicht ausreicht, auch mit Zusatzueinnahmen einschliesslich Nationalbankgold zur Schuldentilgung«.

In aller Klarheit ist hier von den Sünden der Unternehmerschaft nicht mehr die Rede, die Äusserungen von Nationalrat Ineichen sind in diesem Kontext wohl eher als Ausrutscher –  als Freudsche Fehlleistung gleichsam – zu verstehen.

Da das Geschäft mit der zweiten Säule nicht mehr so golden glänzt wie auch schon, könnte man in dieser Logik weiter gedacht, dass Gewinne zu privatisieren, Verluste aber zu verstaatlichen sind, ja diese gerade auch wieder verstaatlichen, man wäre etwa dann ungefähr bei jenen Vorschlag der PdA Volksinitiative zur »Volkspension« anfangs der siebziger Jahre, welche die AHV zu einer allgemeinen Rente hatte ausbauen wollen. Die Unternehmen und die Sozialdemokratie – damals unter der Leitung des legendären Helmut Hubacher – hatten diese Initiative bekämpft und die Abstimmung dazu auch gewonnen.

Eine weitere radikale Lösung wäre es, Invalidität gar nicht mehr obligatorisch zu versichern, soll halt jeder selbst ein wenig mehr Eigenverantwortung übernehmen und selbst schauen, was ihm seine Invaliditätsprämie wert ist – aber so zu denken, das wäre wieder zynisch und polemisch und das wollten wir am heutigen Tag der Arbeit doch vermeiden .

Die politische Diskussion pendelt allerdings noch immer im Prinzip zwischen diesen beiden dummen und untauglichen Extremen hin und her.

Gleichzeitig hat sich aber mit dieser Diskussion auch das Konzept der Invalidität verändert, es ist ähnlich dem Konzept der Behinderung – wenngleich aus ganz anderen Motiven heraus – dynamisiert worden. Dass Invalidität ein gesellschaftliches Verhältnis ist, wird nun wieder sichtbar. Damit rückt sie wieder in den politischen Bereich, wo über sie gestritten wird. Wenn es aber so ist, dass Invalidität ein Verhältnis darstellt, dass Menschen produziert, die behindert werden – und behindert werden sie durch die sozialen Verhältnisse, die das produzieren, was zur Behinderung wird –, dann können Lösungen dieses Problems wohl eher nicht auf der Ebene einer »eingliederungsorientierten Schadenserledigung« liegen. Sie wären dann auf der Ebene dieses Verhältnisses zu suchen, über das ohne jeden Zweifel zu streiten ist.

 

Ach ja nachzutragen sind noch Schlagzeile und Ikonographie:

Der Artikel ist folgendermassen betitelt:

»Kostenschock bei der zweiten Säule. Immer mehr Invalide führen zu steigenden Lohnkosten – die Arbeitgeber wollen deshalb rasche IV-Reformen«.

Das Bild zeigt eine ganze Batterie von leeren Rollstühlen an einem Tisch, auf der Höhe der Räder aufgenommen – honny soit qui mal y pense.