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Auf Seite 4 und 5 ist der grösste Teil der Doppelseite dem Thema »Tabu IV-Rente« gewidmet.

Blick interviewt Ives Rossier, den Chef des Bundeamtes für Sozialversicherungen. Dieser erklärt die Logik der IV.

»Massgebend ist nicht einfach das Einkommen vor der Invalidität. Eine Rente können auch Personen bekommen, die kein Einkommen hatten: Hausfrauen, die nur sehr geringe Beiträge bezahlten, oder Kinder, für die überhaupt keine Beiträge erhoben worden. Sogar Geburtsinvalide, die nie Beiträge bezahlt haben, bekommen eine Rente«.

Blick fragt nach: »Nehmen wir die Hausfrau und Mutter: Ist sie gesund, wird sie für ihre Arbeit daheim nicht bezahlt. Wird sie invalid, bekommt sie eine Rente, ihre Kinder auch. Wer versteht das?«

Rossier: »Wie gesagt, die Renten gibt es nicht, weil vorher ein Einkommen da war, das nun ersetzt werden müsste. Sondern weil die Frau invalid geworden ist. Die Rente deckt eine Behinderung im Haushalt und in der Familie ab, die nicht in Geld bemessen werden kann. Ich glaube, die von Ihnen geschilderten Fälle werfen tatsächlich Fragen auf. Das Problem liegt aber weniger  bei der Höhe der Rente«.

Blick: »Warum nicht?«

Rossier: »Wenn jemand Tetraplegiker wird und dan mehr Geld erhält als vorher, schockiert das meiner Ansicht kaum. Denn hier steht die Invalidität ausser Zweifel. Es wird auch kein Mensch Tetraplegiker, um eine Rente zu ergattern. Das Problem liegt anderswo – beim Umstand, dass heute der Invaliditätsbegriff viel umfassender ist als vor 40 Jahren. Wir haben eine Grauzone«.

Blick: »Was meinen Sie damit?«

Rosser: »Es gibt Behinderungen, die medizinisch nicht niet- und nagelfest sind. Es spielen auch soziale Aspekte une Rolle und die Motivation«.

Blick: »Der Vorwurf lautet: Wenn Arbeiten sich nicht mehr lohnt, weil die Renten höher als der Lohn sind, lassen sich viele Leute einfach ins soziale Netz fallen«.

Rossier: »Dem wollen wir mit der 5. IV-Revision begegnen. Was wir vor allem anstreben: strengere Bedingungen für eine Rente. Wir wissen, wenn die Rente mal zugesprochen ist, kann man nur schwer darauf zurückkommen. Je länger eine Person von der Rente lebt, umso schwieriger ist es für sie, in die Arbeitswelt zurückzufinden«.

Blick: »Ihre Lösung«?

Rossier: »Wann immer mgölich, soll es am Anfang keine Rente geben. Sondern nur Taggelder, verknüpft mit der Bedingung, bei Massnahmen zur Wiedereingliederungmitzumachen. Beispie: eine Beschäftigung, eine Therapie, eine berufliche Weiterbildung. Wer sagt, ich habe keine Lust dazu, wird auch kein Geld bekommen«.

 

Auf der rechten Spalte der Seite, also jenem Teil, der einem als erstes auffält, wenn man die Zeitung durchblättert stehen die »Beispiele, die zu denken geben«. Die drei gestrigen Beispiel werden nochmals erwähnt, ohne den Kommentar des IV-Stellen-Konferenz, der dann aber heute nochmals zwei Beisspiele kommentieren darf; das eine ist das Beispiel eines sehr reichen Managers, der nach der Pensionierung viel Geld erhält, weil er gut versichert war und dazu die AHV und weil er noch Kinder hat, auch AHV-Kinderrenten. Das Beispiel hat nichts mit der IV zu tun, aber es passt irgendwie zum Sound der Kampagne, dass, wer hat, noch mehr erhält.

Das andere Beispiel:

»Silvia Spät (Name von der Redaktion geändert) machte in jungen Jahren eine steile berufliche Karriere. Im Alter von 40 jahren möchte sie gerne noch Kinder. Sie nimmt eine weniger anspruchsvolle 20 - Prozent-Stelle an. Als ausgebildeter Juristin verdient sie trotzdem noch Fr. 23'000 netto. Sie heiratet ihren langjährigen Lebenspartner. Im Alter von 41 Jahren kommt das erste Kind und im Alter von gut 42 Jahren das zweite Kind zur Welt. Die Belastung als Mutter setzt Silvia Spät enorm zu. Sie wird krank, muss die 20-Prozent-Stelle aufgeben und wird invalid. Sie erhält: eine persönliche IV-Rente von Fr. 25'800.- pro Jahr; zwei IV-Kinderrenten von zusammen 20'640.- pro Jahr. Total jährlich 46'440.-«.

Beginnen wir mit den Frankbeträgen. Sie erscheinen sehr hoch; einmal sind es 20'000 Franken, dann gar 40'000 Franken, allerdings pro Jahr.

Rechnet man die Beiträge in Monatsbeiträge um und stellt sich vor, dass man damit leben sollte, oder für ein Kind sorgen, dann sind Beiträge eher gering.

Nehmen wir die IV-Kinderrenten, sie betragen 860 Franken pro Kind, das ist gewiss nicht wenig, aber es ist auch nicht exorbitant viel.

Jedenfalls viel weniger, als die 20'000 Franken, die dastehen.

Es ist hier nicht der Ort, die Zahlenbeispiel für jeden dieser Fälle auf die monatlichen Beträge herunterzurechnen.

Aber es ist naheliegend, dass man die Zahl »20'000« hört und sie mit seinem monatlichen Einkommen vergleicht, das in der Regel um ein Vielfaches geringer ist, und dann denkt, das seien doch extrem hohe Beträge. Mit dieser Vermutung will ich niemandem ihrgend etwas unterstellen – hony soit, qui mal y pense – aber die Beispiele sind so aufgebaut, dass sie emotionalisiert gelesen werden.

»Blick« spielt  – in einem gewissen Sinne meisterlich – damit, Emotion und Verstand, Gefühl und rationalen Diskurs miteinander zu verbinden. Im Beitrag des Chef des Bundesamtes für Sozilaversicherungen wird die Logik der Renten erklärt.

Hier macht Ives Rossier auch noch einen Hinweis auf die in der Gesellschaft zur Zeit zu beobachtende Veränderung in der Bestimmung des Behindertenbegriffs.

Wie man weiss, haben die VerterterInnen der Behindertenverbände seit langem auf diese Dynamisierung hingewiesen.

Die Disability studies sind soweit gegangen zu sagen, Behinderung habe mit dem Körper gar nichts zu tun, sondern bestehe in Barrieren, die eine bestimmte Gesellschaft gegenüberbestimmter ihrer Mitlgieder errichte.

Der Trend geht im Moment weg von der medinischen Fassung des Konzeptes.

Dafür gibt es viele gute Gründe.

Wenn aber Behinderung relational konstruiert wird, dann werden die individualisierenden Zuschreibungen schwieriger.

Durch die Relationalisierung des Konzeptes, vermindert sich die Trennschärfe und der Direktor des BSV macht eine veritable »Grauzone« aus. In diese Grauzone hinein haben Exponenten einer bestimmten politischen couleur, es handelt sich beinahe ausnahmslos um VertreeterInnen aus den Kreisen der SVP und der FDP, das Konzept des »Scheininvaliden« geworfen. Dieses Konzept organisiert im Hintergrund den Boden für die Auseinandersetzung um die 5. IV-Revision, bei welcher es pointiert darum geht, dass »Arbeit vor Rente« kommt. In allen diesen Argumentationen liegt eine gesellschaftliche Latenz im Zusammenhang mit »Behinderung«. Diese Latenz besteht nachwievor darin, dass »wirklich« behindert nur jemand ist, der nicht gehen kann, dem ein Sinn fehlt usw. »Behinderung« wird in dieser gesellschaftlichen Latenz, welche die Wahrnehmung nachwievor in einem hohen Masse steuert, als Eigenschaft eines Menschen betrachtet.

Was in all diesen teilweise polemischen Diskursen aber nicht bedacht wird, ist der Umstand – dass ganz unabhängig davon, wie welche ExpertInnen wie über den Begriff der Behinderung befinden – dass der Arbeitsmarkt viele dieser Menschen, auch nach Umschulungen schlicht nicht wird gebrauchen können. Sie werden also auf den sogenannten »2. Arbeitsmarkt« umgeleitet werden müssen. Dieser boomt zur Zeit. Behinderteneinrichtungen werden zu Dienstleistungsunternehmen umgestylt, die neue Sprache der Betriebswirtschaft hält Einzug in Köpfe und Organisationen. Es mehren sich auch schon die Hinweise, dass die »marktwirtschaftlich geführten« – welch ein anmassender Blödsinn – geführten Unternehmen, Angestellte, die eigentlich auf dem Arbeitsmarkt wieder Chancen hätten, nicht weiter vermittelten, weil sie mit diesen »Geld« machen. Ein gewiss nicht intendierter Effekt der »Marktideologen«. Und wer sich jemals in einer geschützten Werkstatt oder einer Einrichtung dieses so genannten »2. Arbeitsmarktes« umgehört hat, der wird immer von den dort arbeitenden BetreuerInnen zu hören bekommen, wie die dort beschäftigten »Behinderten« und »stärkere« und »schwächere« eingeteilt werden, entlang der Logik ihrer so geannten  wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Sie erscheint als einziges Masssystem des gesellschaftlichen Lebens.