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Die Menschen hier arbeiten schwer und diszipliniert, aber noch immer ist das Miteinander, der Austausch untereinander, das die Priorität geniesst. Es sind die Ruinen einer sich auflösenden bäurisch strukturierten Gesellschaft, deren angenehme Seiten ich hier geniessen kann, da ich zu wenig lange hier bin, um auch ihre negativen Seiten, jene des Klatsches und der Verleumdung zu erleben.

Beim Durchblättern der Zeitungen über das Wochenende  nach meiner Rückkehr, stosse ich auf den »Fall von Terri Schiavo«, im Fernsehen höre ich, sie habe am Ostersonntag die letzte Ölung erhalten, das Fernsehen zeigt die Bilder der Wachkomma-Patientin. Vor der Klinik werden Demonstranten verhaftet.

In den Zeitungen wird kommentiert.

Die NZZ vom 29. März wird der Fall aufgerollt. Es handelt unter anderen auch um einen Familienkonflikt. Der Ehemann von Terri Schivo möchte, dass seine Frau sterben kann. Er lebt seit langem mit einer anderen Frau zusammen, mit der er zwei Kinder hat. Er behauptet, Terri Schiavo habe mündlich immer wieder gesagt, sie wolle nicht in einem irreversiblen Zustand künstlich am Leben erhalten werden. Die Eltern von Terri Schiavo sehen das anders, sie wollen ihr Kind nicht sterben sehen. Aber sie haben weniger Rechte an ihr als der Ehemann an ihr. Das haben die Gerichte kürzlich festgestellt.

Während für die einen Terri Schiavo hirntot ist, ist das für die Eltern und ihre Geschwister anders. Diese behaupten Terri Schivo reagiere auf ihre Stimmen und Musik.

Wie lassen sich solche Aussagen überprüfen?

Lassen sie sich überhaupt überprüfen?

Wie ist Kommunikation möglich, wenn sie scheinbar nicht mehr auf Mit-Teilung beruht?

Was teilen denn die Beteiligten an diesen Interaktionen miteinander?

 

Derweil hat sich die Politik dieser familiären Tragödie angenommen. Staat und Gerichte sind involviert und selbstverständlich, wie immer, wenn es um Fragen um Leben und Tod geht, die fundamentalistischen Christen. Diese melden sich überall und immer zu Wort, bei der Abtreibung, bei Fragen der Sterbehilfe, sie kämpfen offenbar um jedes »Leben«, aber sie sind für den Krieg, für den Krieg der Gerechten gegen die »Bösen«; dort ist das menschliche Leben aus dieser sehr eigenartigen christlichen Sicht dann wieder eine erstaunlich relative Angelegenheit. Wenn Menschen in »gerechte Kriege« ziehen, dann dürfen sie umgebracht werden, als Teil einer gerechten Sache. Wie pervers muss eine Moral sein, die solches zulässt und sich dabei auf eine religiöse Tradition abzustützen vermeint, die immerhin eine Ethik wie jene der Bergpredigt hervorgebracht hat?

Es ist extrem abstossend und obszön, dass Bilder von Terri Schiavo über die Bildschirme flimmern. Sie selbst kann sich dazu nicht äussern, dass ihre Lebensumstände in die Bildschirme von Millionen von Menschen übermittelt werden, dass ihre Intimität entblösst wird.  Sie ist zum Mittel geworden in einer Auseinandersetzung, bei der man nicht so genau weiss, worum es geht.

Was bedeutet es eigentlich, wenn einem Menschen die Intimität enteignet wird?

Worin besteht der Informationsgehalt jener Bilder, welche die Frau im Wachkomma zeigen?

Worin besteht die Informationspflicht von Medien, diese Bilder zu zeigen?

 

Kant hat einmal gesagt: »Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst«.

Mir scheint, der mit staatlicher Absegnung herbeigeführte Tod – einige sprechen auch von Mord – von Terri Schiavo habe diese Maxime verletzt.

Leben und Sterben dieser Frau sind längt instrumentalisiert worden für etwas, von dem die Protagonisten, die gegeneinander kämpfen vielleicht nicht einmal ahnen: welcher Auffassung man auch immer in diesem Fall sein mag, auf beiden Seiten haben die Protagonisten dieser Auseinandersetzung bewiesen, dass die Würde des Menschen antastbar ist und dass sie beiderseits bereit sind, diese Würde anzutasten, wenn sie sich davon einen Vorteil für ihre Sache versprechen.

So oder so haben sie damit beiderseits ihre Anliegen entwürdigt, weil sie um dieser Anliegen willen, die Würde eines Menschen verletzten.

Sie haben nicht nur die Menschenwürde von Frau Schiavo verletzt, sondern sie haben ihre Situation und damit diese Frau selbst zu einem Mittel stilisiert, ihre eitlen moralisch-ethischen Auseinandersetzungen zu führen, bei denen es ihnen nicht um die Würde von Menschen geht, sondern um jene wenigen Sekunden Aufmerksamkeit der elektronischen Medien.