Wir verwenden Cookies, um unsere Website fortlaufend zu verbessern und die Zugriffe statistisch auszuwerten. Mit der Nutzung unserer Webseiten erklären Sie sich damit einverstanden. Näheres dazu und wie Sie die Verwendung von Cookies einschränken oder unterbinden können, erfahren Sie in unseren Datenschutzhinweisen.

Das ist vornehm ausgedrückt. Es wird nicht davon gesprochen, dass hier das Leben eines Menschen auf das Schrecklichste attakiert wurde mit Mitteln der Gehinrchirurgie, bloss weil der Vater Angst hatte, eventuelle sexuelle Eskapaden seiner Tochter könnten ihn bei einer ungewollten Schwangerschaft, in seinen Ambitionen auf den Präsidentenstuhl der Vereinigten Staaten von Amerika behindert.

Das war das Motiv, so der Artikel, die Tochter zu behindern.

Was war denn geschehen?

Rosemary Kennedy, so nimmt man heute an, litt an einer Dyslexie oder einer anderen Lernstörung. Sie war nicht geistig behindert, sie führte in den dreissiger Jahren als Teenager – sie ist am 13. September 1918 geboren – Tagebücher. Diese wurden 1995 in Buchform publiziert.

Joe Kennedy, ein aus einer mit Alkoholschmuggel in der Prohibitionszeit reich gewordenen Familie – heute würde man einfacher von einer Drogenmafia reden – war ein Emporkömmling mit steilen Aufstiegsambitionen. Er brachte es immerhin zum  Botschafter der USA in Grossbritannien.

Die NZZ druckt ein Bild der Schwestern Eunice und Rosemarie Kennedy vom 20. April 1938 kurz vor Abfahr ihres Schiffes in New Yorik. Rosemary war damals knapp 20 Jahre alt, eine hübsche junge Frau, die noch drei Jahre Leben ohne Behinderung vor sich zu leben hat.

Ihre Behinderung wird sie in den Worten des ex-Präsidentschaftskandidaten und Senators Ted Kennedy zum «Juwel» der Familie machen.

«Beunruhigt waren Joe und Rose nicht nur  von den Tempramentsschwankungen Rosemarys, sondern wohl auch von der erblühenden, vielleicht auch problematischen Sexualität der jungen Frau. Eine ungewollte Schwangerschaft hätte, so wird vermutet, aus des Patriarchen Sicht dem Ruf der Kennedys nachhaltig geschadet. Gegen ihren Willen wurde Roesemary aus Londen, wo sie sich offenbar wohl fühlte und der Enge eines rigiden Elternhauses  gelegentlich entkommen konnte, in die USAzurückgeschickt.  Der genaue Ablauf dessen, was dann 1941 daheim geschah, ist unklar. Joe veranlasste, möglicherweise ohne Rücksprache mit seiner Frau und wohl ohne Einwilligung Rosemarys, einen gehirnchirurgischen Eingriff, eine präfontale Lobotomie, in einem Washingtoner Spital. Die Operation, die erst wenige Jahre zuvor erstmals ausgeführt worden war, liess Rosemary mit einer schweren Behinderung zurück. Während der letzten knapp 64 Jahre ihres Lebens war sie ein Pflegefall, den grösssten Teil ihres Lebens verbrachte sie in einem Heim in Jefferson, Wisconsin».

John F. Kennedy, sexmaniac, schwer krank, Senator und später Präsident der USA, später am 22. 11. 1963 von Lee Harvey Oswald in Dallas, Texas ermordet, verschiweg die Existenz seiner Schwester.

Das Juwel der Familie lebte wohlbehütet in einem Heim, als lebende Leiche in einer amerikanischen Tragödie.

Man könnte meinen Theodore Dreiser habe den Plot für diese leider wirkliche Geschichte geschrieben.

Was muss man hier alles aufzählen?

Patriarchat, katholische Främmelile, sexuelle Verklemmtheit, Rigidität einer aufsteigenden Mafiosenfamilie?

Was bleibt, ist die grundlegende Verachtung des Einzelmenschen, im Kern eine faschistische Haltung.  Ein Mensch, der nicht «passte», wird diagnostiziert und «therapiert» mit der Folge, dass er nun zwar auch in einem beabsichtigtem Sinne nicht mehr passt, aber dafür aufgrund der nicht beabsichtigten Zerstörung der Persönlichkeit, wenigstens handhabbar geworden ist.

Wieviel Gewalt, Drogensucht, sexuelle Exzesse sind in dieser Familie ein Kontext ihres Erfolgs und Prestiges?

Und mit Geld findet man immer Fachleute, die dem jeweiligen Stand des Wissens entsprechend – oder sollen wir aus heutiger Sicht erher sagen – Unwissens, ihre Diagnosen stellen und ihre Eingriffe durchführen.

Aus der Sicht des Bundesrates von heute (17. Dezember 2004) sollen wir nicht über die Vergangenheit urteilen, so die damalige Stellungnahme der Regierung zur Ablehnung einer finanziellen Entschädigung an Menschen, die bis in die siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts zwangssterilisiert worden waren. Die Leute damals hätten «Gutes» tun wollen. Das wollte Joe Kennedy offenbar auch.

Das verweist auf den Fluch der den Ethikdebatten anhaftet. Sie lassen sich wunderbar vom Tun abkoppeln.

Gestern in der Basler Zeitung (10. Januar 2005) Rubrik: «schweiz.tagesthema», die Schlagzeile

«Test an In-vitro-Embryos sind nicht mehr tabu. Das Verbot der Präimplantationsdiagnostik wackelt. Was getestet werden darf, bleibt umstritten».

Der Lead des Artikels bringt es auf den Punkt:

«Das Fortpflanzungsmedizingesetz verbietet es, künstlich gezeugte Embryos zu untersuchen. Jetzt soll die Präimplantationsdiagnostik (PID) erlaubt werden. Worauf aber sollen in vitro gezeugte Emryos vor der Einpflanzung untersucht werden dürfen? Wo liegt die Grenzen zwischen Lifestyle und Leiden?»

Was auch immer hier gemeint ist, der Stabreim von Lifestyle und Leiden hat es in sich, hat Pep.

Der Basler Arzt und Leiter der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie spricht davon, dass man die Not von kinderlosen Paaren verkenne. Zumal in einer Gesellschaft, in der immer weniger Paare Kinder auf die Welt stellen wollen, vielleicht sind es nicht die Paar, sondern die Frauen, die keine Kinder wollen, jedefalls so der Basler Arzt, brauche es irgendeine gesetzliche Regelung, allenfalls brauche es eine Liste  von sogenannt «untersuchungsfähigen» Krankheiten. Es ist interessant, dass ein Mann in einer Zeit, wo weltweit von einer Bevölkerungsexplosion gesprochen wird – gewiss auch ein schreckliches Wort – so spricht.

Die Ethikerin des BAG,  Andrea de Falco, hält eine solche Liste allerdings für hochgradig diskrimierend gegenüber all jenen, die mit einer entsprechenden Krankheit leben. Selbst wenn es gelänge all diese Krankheiten aufzulisten, was medizinisch heute schwierig ist, bleibt ein solches Unterfangen fragwürdig.

«Heikler wird es bei der Untersuchung von Embryos auf Chromosomenstörungen. Denn diese sind sehr vielfältig und gerade bei Paaren mit Fruchtbarkeitsproblemen sehr häufig. De Geyter (eine belgische Professorin spezialisiert auf solche Untersuchungen /eog) unterscheidet hier zwischen zwei Gruppen von Paaren:

– Paare, bei denen der Mann oder die Frau oder beide eine Chromosomenstörung haben. Sie selbst sind gesund, da ihre Natur bei ihnen die Störung korrigiert hat. Bei diesen Paaren ginge es darum festzustellen, welches der in vitro gezeugten embryos entweder über eine intakte oder korrigerte Chromosomenstruktur verfügt.

– Bei der zweiten Gruppe geht es um Paare, die bereits drei oder mehr Fehlgeburten erlitten haben und bei denen zu vermuten ist, dass diese auf einen genetischen Defekt, der bei der Befruchtung entsteht, zurückzuführen sind. Auch ein solcher wurde sich am Embryo feststellen lassen.

Die reproduktionsmediziner drängen deshalb auf eine Lösung, die der komplexen Situation von unfruchtbaren paaren gerecht wird. Wichtigstes Kriterium sei die Zumutbarkeit für die betroffenen Paare, meint de Geyter.

Nicht in Frage kommt in der Schweiz eine Selektion der Embryos nach ihrer «Therapietauglichkeit» für ihre Geschwister, wie dies in den angelsächsischen Ländern möglich ist».

Ja, das ist allerdings eine interessante Frage, wer wem was alles zumutet. Die Zumutung, was für ein Wort und welche Hybris dahinter. Sie wird möglich durch ein eigenartiges Zoomen moralischer Skalen und gesellschaftlicher Perspektiven. Die Not der kinderlosen Paare wird höher gewichtet als die Fortentwicklung des eugenischen Diskurses. So kann nur in einer Gesellschaft argumentiert werden, die durch ihre geistige Entgrenzung jegliche Rahmung aufzugeben bereit ist und die im Glauben an die Fortschreibung von Machbarkeiten wähnt, nun sei ihr alles erlaubt.

Aber lesen wir weiter unter der Schlagzeile «Verbot war Konzession an die Gegner der In-vitro-fertilisation» unten an der Seite steht ein fettgedruckter Begriff:

«BESTÄTIGUNG. Gut möglich ist aber auch, dass die komfortable Zweidrittelsmehrheit, die das Stammzellenforschungsgesetz Ende November an dere Urne erzielte, die Kursänderung im Bundesrat begünstigt hat. Der Basler Johannes Randegger jedenfalls fühlt sich bestätigt: «Die Abstimmung hat gezeigt, dass eine Mehrheit dafür ist, das embryonale Leben zu relativieren, wenn dadurch Leiden verhindert werden kann.» Noch weiter geht der Zürcher Felix Gutzwiler, für den sich «einer rein juristischen Logik folgend» aus der Zulassen der Stammzellenforschung die Zulassung der PID (Präimplantationsdiagnostik/eog) ergibt. Da das Stammzellenforschungsgesetz die Entnahme von Zellen eines Embryos erlaube, müsse das entsprechende Verbot im Fortpflanzungsmedizingestz aufgehoben werden. «Keinen Zusammenhang» zwischen den beiden Themen sieht hingegen Christoph Rehmann-Sutter, Präsident der nationalen Ethikkommission für den humanen Bereich. Die ethischen Fragen lägen anders. Es gehe darum, ob man den Frauen und Paaren einen nachträglichen Schwangerschaftsabbruch zumuten dürfe, wie dies mit dem Verbot heute geschehe. Wenn die PID geregelt werde, müsse verhindert werden, dass die Selektioin von Embryos vor der Einpflanzung zu eugnischen Praktiken führe.»

Soweit der Chefethiker des Landes. Auch er hat Probleme mit dem Zumutbaren

Angesichts dieser Geschichten kommt einem wieder das Bild von Ernst Klee in den Sinn, das Walter Benjamin beschreibt, das Bild des Engels, der auf die Trümmer zurückblickt, während der Wind des Fortschritts ihn ihmmer weiter treibt.

Ob wir es wollen oder nicht, ob wir es anerkennen oder nicht, die alten moralischen Orientierungen, auf die wir uns zu stützen versuchen, greifen angesichts dessen, was heute in der Forschung an Menschen möglich geworden ist, viel zu kurz.

Der Rekurs auf eine Offenbarung oder auf die Vernunft wirk angesichts der Dynamik des in die Forschung investierten Kapitals hilflos.

Der Kurs dieser Forschung ist ein eugenischer ganz unabhängig davon, das Ethikkommissionen dazu befinden, sie dienen ohnehin nur als Feigenblätter für ganz andere Interessen.

Wir müssten anerkennen, wenn wir ernstnähmen, was wir selbst beschlossen haben mit einer Zweidrittelsmerheit an der Urne, dass unsere wahre Religion – ganz unabhängig davon, zu wem oder was wir uns bekennen – das Delta des Kapitals ist, auf das Marx hingewiesen hat, als er zeigte, dass mit der Erfindung des Kapitals als sozialem Verhältnis eine grundlegende Veränderung in den Kreislauf der warenproduzierenden Gesellschaften erfolgt ist.

Galt bisher ein Kreislauf, dass eine Ware in Geld eingetauscht wurde, um wieder eine andere Ware zu erstehen, so gilt jetzt im Kapitalismus der Kreislauf, dass ein Kapital sich in Waren manifestiert, die so eingesetzt werden, dass schliesslich ein Delta das Kapitals, ein Gewinn, erzeugt wird, wobei dem eingesetzten Kapital die Konkretheit der Waren, in denen es sich manifestiert, gleichgültig ist.

«non olet» sagte Vespasian, als er kritisiert wurde, auf den Pissoirs des alten Roms eine Steuer zu erheben. Das war vor 2000 Jahren. Vielleicht müssten wir heute sagen «olet».

Aber auch, wenn wir solches sagen würden – vorderhand dürfen wir es wenigstens  noch sagen, schreiben und manchmal sogar drucken – es wäre eigenartig hilflos angesichts der Gewalt der Entwicklung, die das Kapitalverhältnis  in seiner Dynamik zu entfalten weiss.

Irgendwo in einer Filmkritik habe ich gelesen, dass Wahrheiten manchmal auch eine grosse Liebe zerstören können, während gut gehütete Geheimnisse sie zu bewahren vermögen.

Vielleicht sollten wir unsere Liebe zum Leben sehr ernsthaft neu überdenken und uns überlegen, welche Geheheimnisse des Lebens wir lieber bewahren möchten.

Es gibt so viele spannende Dinge, auf die sich das Forschungsinteresse der Menschen werfen könnte, wie etwa die Technik der Lockenwicklung in der 17. Dynastie des alten Ägypten.

Weshalb muss Wissenschaft immer eingesetzt werden, um vordergründig nützlich, hilfreich und schlimmer noch «Gutes zu tun»?

Es lässt sich benennen das Forschungsprogramm des Roger Bacon, es hat viele Vorteile gebracht, es hat viele Vorurteile geschaffen, aber es hat uns auch an Zonen herangeführt, in denen wir zu vergessen scheinen, dass noch nie in der bisher bekannten Geschichte der Menschheit, das Numinose unbestraft entweiht wurde.

Schiller hat in seinem Gedicht über den Jünglich in Sais dazu entwas interessantes gesagt.

Das «Gute» eines jedweiligen «heute» hat sich zu oft als der Schrecken der Gegenwart entpuppt, wie die Geschichte von Rosemary Kennedy gezeigt. Vermutlich wollte auch ihr Vater sie nicht geistig behindern, sondern nur ein wenig ihre in seinen Augen zügellose Sexualität bremsen, mit Hilfe neuster wissenschaftlicher Erkenntnis.

Dann ist alles irgendwie dumm gelaufen.

Gut gehütete Geheimnisse vermögen eine grosse Liebe zu wahren.

Wir sollte die Liebe zum Leben, die die Anerkennung des Todes als einer Folge des Sterben müssens impliziert, wieder entwickeln lernen.

Wie hatte Erich Fromm vor langer Zeit gesagt, dass die Kunst eine Liebe sei, die man erlernen könne und die man üben müsse, damit man sie nicht wieder verliert.