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Jean Paul Sartre, bekennender Polytoxikomane, auch Schriftsteller und Philosoph sagte in einem Interview, er wisse, dass ihn sein Lebensstil vielleicht zehn Jahre seines Lebens gekostet habe, aber das sei gewissermassen auch Preis dafür gewesen, die Kritik der dialektischen Vernunft geschrieben zu haben.

Lesen wir nun also – falls wir dieses Buch heute noch lesen würden – ein bekifftes und versoffenes Buch, eines das nach den Regeln der Fairness, aber vielleicht gelten diese Regeln in der Philosophie weniger als im Sport, nicht mit den rechten, den erlaubten Mittel geschrieben worden ist, sondern entstand unter dem Einfluss ernormener Mengen von Amphetaminen und Whisky?

Im Film sage einer der Drogenfander, man solle nicht so tun, was die Sportler zu sich nehmen würden, läge ganz im Bereich dessen, was auch die Normalbevölkerung zu sich nehme.

Wir könnten die Probleme nicht lösen, sondern müssten uns eher fragen, weshalb wir eine Gesellschaft entwickelt hätten, die über ein so hohes Suchtpotenzial verfüge.

In einem gewissen Sinne ist es also normal gedoppt zu sein, damit man den Stress des beruflichen Alltags durchzuhalten vermag, weshalb dann die Vorwürfe an die Sportler, die ja auch nur ihrem Beruf nachgehen?

Scheint hier allenfalls ein Problem unserer Normalität durch den Schleier der Doppingskandale hindurch oder täusche ich mich, weil es noch früh am Morgen ist?

In diesem Zusammenhang ist mir eingefallen, dass ich vor einigen Wochen in der Zeitung gelesen habe, dass in Frankreich die Gesundheitskosten des Alkoholismus sich aber auf 15 Mia. € belaufen, ungefähr das doppelte dessen, was das Land aus dem Weinexport einnimmt, wenn ich mich richtig erinnere. Man subvientioniert gewissermassen die Weinexporte über die Leberleiden der Bevölkerung, ökonomische Denkweisen können durchaus auch ihren Reiz haben. Aber so will das sicher niemand gesehen haben. Vermutlich verstehe ich etwas nicht ganz richtig und habe wieder einmal Äpfel mit Calvados verglichen.

Einer der Doppingfander sagt im Film , dass die SporlerInnen wieder Zahnspangen tragen müssten, weil durch die Wachstumshormone auch die Kiefer wieder zu wachsen anfängen.

Ein anderer Doppingspezialist sagt, wenn eine Schöhnheitsoperation misslinge, dann gäbe es immer gleich eine Serie von Artikeln, niemand spreche von den zwei Millionen gelungenen Schönheitsoperationen.

Nächste Woche beginnt im Fernsehen DRS eine Serie über Schönheitsoperationen.

Was sich hier abspielt ist der Triumph des Willens über den Körper.

Dennoch erstaunt mich dieser Durchmarsch des Relativismus, alles ist relativ bedeutungslos geworden.

Alexandre Jollien zitiert in seinem Buch «Die Kunst Mensch zu sein» auf Seite 104 Paul Valery mit folgenden Worten:

«Der Mensch klammert sich an das, was er wert zu sein glaubt. Ich bin das wert, was ich wert sein will». Mit diesen Ausspruch kommt mir Paul Valéry wie gerufen, weil er die Bedeutung des Willens hervorhebt. Der Wille hält den Kurs, spendet die notwendige Kraft, um neue Strategien zu entwerfen, kurz gesagt, er verbietet eine Kapitulation. Ohne Wille kein Kampf und kein Sieg, das steht fest! Aber auch mit ihm sind die Schwierigkeiten bei weitem nicht beseitigt. Die angehäuften Verletzungen zermürben mich und lassen mit oft hilf- und wehrlos zurück».

Das Problem des menschlichen Willens. Es zeigt sich auch in der Art und Weise, wie in unserer Kultur mit dem Körper umgegangen wird.

Der Körper kann konfektioniert werden, von der Zahnspange (auch ohne Doppingkonsum) bis zu den mit Slikon gefüllten Brüsten, dem abgesaugten Fett und so lese ich im Sonntagsblick des heutigen Tages von der am Horizont sich ankündigenden Gehirnprothese.

Menschen werden als modellierbares Ausgangsmaterial für Konfektionierungen aller Art betrachtet. Diese Konfektioinierungen werden von anderen Menschen vorgeschlagenen und vorgenommen mit dem Ziel dadurch Gewinne zu erzielen.

Menschen lernen heute schon früh, sich selbst als solches Ausgangsmaterial für die Imaginationen ihres Geistes zu betrachten. Es ist überzufällig, dass die Hauptsponsoren der vorabendlichen Soapopares, Kosmetiklinien sind. Die Wahrheit der Botschaft wird vor dem Film gesendet und im Abspann.

Der Sieg des Geistes über die Materie ist aber in sich ein gefährliches Unterfangen. Es fehlt wie immer, wenn es um Sieg oder Niederlage geht, die Bremse, der Ausgleich. Es fehlt ein negativer Feedback, der helfen würde, das System zu kalibireren.

Solange wir uns in einer Gesellschaft befinden, deren Grundwerte sich im Sport mit den Meaphern des «schneller», «höher» und «grösser» versinnbildlichen und die als kulturelle Nullllinie gewissermassen zu gelten haben, fehlt diese Bremse.

Sie lässt sich leicht bestimmen, sie liegt in der Anerkennung, dass den Menschen immer Grenzen gesetzt sind. Die Folge der Anerkennung von Grenzen ist die Demut.

Das führt unmittelbar zurück in die religiöse Fragestellung und damit wieder in die Falle der durch die Religion manipulierten Abhängigkeiten, aus welchen mit grosser Anstrenungung die Menschen sich seit der Aufklärung bemühten.

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, hat Kant in seinem berühmten Aufsatz über die Aufklärung gesagt und Unmündigkeit als das Unvermögen bestimmt, sich seiner eigenen Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu gebrauchen.

Nun wenn wir die Epistemologie ernst nehmen und anerkennen, dass Denken ein kollektiver Prozess ist, dann müssen wir anerkennen, dass wir nie in der Lage sind, unseren Verstand ohne Anleitung eines anderen zu gebrauchen, den ohne die anderen hätten wir gar keinen.

Es kann also nur darum gehen, wieder die Spannungen zwischen subjektiver Idiosynkrasie und kollektiver Orientierung auszuhalten. Davon spricht ja auch unentwegt die in der Frage der Entwicklungspsychologie sich betätigende Forschung. Es gibt Hinweise darauf, dass die «Materialität» der gesellschaftlichen Verhältnisse, also der Umstand, wo und inmitten von welchen Menschen zu welcher Zeit ein Mensch aufwächst und vergesellschaftet wird, während er sich selbst vergesellschaftet, den Verlauf dessen beeinflusst, was man Kognition nennt.

Vergesellschaftung ist ein aktiver und ein passiver Prozess. Ohne eigene Anstrengungen der Subjekte vermag sie nicht zu gelingen, aber indem sie gelingt, formt sie das Subjekt zu einem in einer bestimmten Gesellschaft an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit sozialisierten Menschen.

Es sind die Verkehrsformen zwischen den Menschen, die den Spielraum dessen bestimmen, was Menschen als «menschlich» anzunehmen bereit sind. Nie fallen darunter alle Menschen, trotz aller gegenteilgen normativer Bestimmungen.

Am Beispiel des Umgangs mit sich selbst sieht man das Ausmass der Irrationalität, mit welcher der Geist den Körper zu formen versucht. Mit Abscheu blickt das westliche Abendland auf die grausamen Kliitorisbeschneidungen bei Mädchen in Afrika, toleriert die Vorhautbeschneidungen bei Jungen aus religiösen und hygienischen Gründen auf der ganzen Welt. Gleichzeitig wird stets versichert, das eine sei mit dem anderen unvergleichbar. Was insofern wahr ist, als die eine Verletzung eines Körpers im Sinne von .... niemals mit einer anderen Verletzung eines Körpers im Sinne von ... vergleichbar gemacht werden kann.

Ebenso wird in PsychotherapeutInnenkreisen über das Ausmass der Selbstverstümmelungen von Mädchen gesprochen im Zusammenhang mit Piercing, nicht zuletzt von Frauen, die alle durchbohrte Ohrläppchen haben. Alle Welt ist stolz auf sein Tatoo, die neuen Brüste und das abgesaugte Fett werden im Fernsehen gezeigt, ebenso wie die gespaltene Zunge usw.

Ich höre schon die empörten Rufe, hier würde wieder mal alles mit allem durcheinandergebracht und nicht Vergleichbares miteinander verglichen. Die Klitoris sei doch schliesslich das Lustzentrum der Frau und nicht vergleichber mit einer Vorhautbeschneidung des Mannes. Wohl wahr. Nur, auf der Basis von welchem Körperverständnis, von welchem Bild von Menschen wird hier gemessen?

Was muss alles ausgeblendet werden, um welche Urteile fällen zu können.?

Die heutige Diskussion ist voll von einem Diskurs, in dessen Zentrum die Konfektionierung des Menschen nach seinen eigenen Imaginationen steht, die nicht seinen eigenen sind, sondern diejenigen, die ihm zur Verfügung gestellt werden.

Die Menschen machen sich zu den Schöpfern ihrer selbst. Das ist eine Hybris. Davor warnen die Mythen der Bibel, es gibt das eine Geschichte, die am Anfang der kulturellen Differenzierung steht, als ein eifersüchtiger Gott, den Menschen die Sprache verwirrt hat, so dass sie sich untereinander nicht mehr zu verständigen vermochten, damals als sie jenen Turm bauen wollten, der bis in den Himmel reichen sollte

Das sollte nun allerdings nicht als ein Plädoyer für eine Rückkehr zur Religion verstanden werden.

Es gibt nichts, was eine Rückkehr rechtfertigen könnte, nicht zuletzt, dass sie unmöglich wäre, es sei denn um den Preis einer gewaltigen sozialen Amnesie. Diese allerdings erscheint wiederum nicht so unwahrscheinlich wie es erscheinen möchte. Es lagern in den Arsenalen der Atommächte genug destruktive Kapazitäten, um den Zusammenhang der Weltgesellschaft aufzulösen, damit wäre der Weg frei zurück zur Abhängigkeit von Religionen.

Die Frage ist die nach einem Weg, der die Begrenzung anerkennt. Die Behinderung zeigt ihn, immer wieder jeden Tag: es ist den Menschen nicht alles möglich.

Was allerdings die Menschen aus diesem Zeichen lesen, das steht auf einem ganz anderen Blatt.

Die NZZ berichtet in ihrer Wochenendausgabe (4. & 5. 12. 04, S. 29) über den Werkplatz China und darüber, dass es nichts nütze, wenn man darüber jammere, dass die Chinesen den Schweizern die Arbeitsplätze wegnehmen würden. Mentalidastätsunterschiede werden zwischen den beiden Ländern festgestellt, die Vollkaskomentalität der SchweizerInnen beklagt usw. und mehr Risikofreude angemahmt.

Das mag je wohl alles auch seine Berechtigung haben und ein gewisses Selbstbewusstsein ist nie schlecht, andererseits sollte man sich doch zwischendurch wieder einmal daran erinnern, dass das Land Schweiz etwas weniger als die Hälfte der EinwohnerInnen von Shanghai umfasst, dass es fast schon zweihundertmal so viele ChinesenInnen gibt wie SchweizerInnen und dass deshalb, bei allen genetischen und kulturellen Unterschieden Gleichverteilung aller Chancen unterstellt, es eben deshalb von allem in China fast zweihundermal mal mehr hat.

Vielleicht wäre es gut in der Schweiz zu überlegen, weshalb die EU immer noch Ausland sein muss. Wie auch immer, solche Faktoren werden die Möglichkeiten der Behinderten auf den Arbeitsmärkten dieses Landes mehr beeinflussen, als wir uns im Moment vielleicht noch vorstellen können.

Die Menschen haben sich die Zukunft immer als mehr oder weniger lineare Extrapolation der Vergangenheit nach vorne ins Neue vorgestellt. Aber wenn die Gegenwart durch sozialen Wandel zu charakterisieren ist, dann ist, ganz unabhängig davon, was sonst noch alles passieren könnte, eines auf jeden Fall sicher: die Zukunft wird definitiv nicht so sein, wie es die Vergangenheit gewesen ist. Vielleicht ist das eine Lektion, die wir aus der Geschichte zu lernen hätten.

Im Le Temps vom Freitag, den 3. Dezember 2004, steht aus Seite 10 die Schlagzeile: «L'aude soziale en Suisse prête à ancrer de principe du donnent donnant» und Walter Schmid, der die «Conférence des institutions d'action sociale» leitet wird mit einer Schlagzeile zitiert: «Il faut encourager les bénficiaires à prendre pied dans un emploi».

Gerade unter dieser Schlagzeile ist sein Bild abgedruckt und der Satz: «Il y  a trop peu d'emploi pour des personnes sans qualification».

Man ermuntert die Leute zwar zu arbeiten, aber man stellt auch fest für einen Teil von ihnen gibt es gar keinen Chancen offen haben. Man landet irgenwie auf Umwegen wieder bei der Diskussion um ein Mindesteinkommen. Die Drehtüre besteht nicht nur im Sozialwesen, sondern auch in den Köpfen, die das Sozialwesen bedenken, ventilieren gewissermassen.

Von der «Gefahrengemeinschaft» zum «statistischen Kollektiv»

Und dann sagt Professer Matthias Haller von der Universität St. Gallen in der NZZ am Sonntag, auf Seite 49, auf die Frage, was denn falsch gelaufen sei, dass Krebskranke keine Taggeldversicherungen, Aufofahrer aus dem Balkan keine Abschlüsse, usw. mehr finden würden, Versicherungen seien doch dazu da Risiken abzusichern, was denn da falsch gelaufen sei:

«Im Prinzip lauft nichts falsch: Man hat es so gewollt...

Das müssen Sie uns erklären...

In den neunziger Jahre wurde die Versichung systematisch dereguliert, so wie alle anderen Wirtschaftszweige. Die Folgen zeigen sich heute.

Was meinen Sie damit?

Früher hatten wir eine selbstregulierte Welt der Versicherungen, die Kernprodukte waren bis hin zu den Produktunterlagen von den Brachenverbänden abgesegnet, die Tarife meist einheitlich. Das, was  im Zuge der Deregulierung kritisiert wurde, hatte seine Vorteile: vergleichbare, durchaus gute Produkte, vielleicht etwas überteuert. Die Branchentarife bedeuten auch, dass jeder mitgetragen wurde. Dann forcierte man die Deregulierung, weil man überzeugt war, dass sich auch Versicherungsprodukte für den freien Markt eigneten. In den neunziger Jahren lief der Wettbewerb denn auch vor allem über den Preis. Der Aufstieg und Fall im Börsen-Hype dann lehrte die Versicherungen, dass sie zurück zu den Wurzeln mussten. Das heisst einer sauberen Versicherungstechnik erste Priorität einräumen.

Was verstehen Sie unter sauberer Versicherungstechnik?

Schäden, die im Zeiflauf mehr oder weniger zufällig auftreten, müssen in einem Kollektiv und über die Zeit ausgeglichen werden. Früher hat man dies mit dem romantischen Begriff Gefahrengemeinschaft umschrieben, heute spricht man vom statistischen Kollektiv. Dabei können die einzelnen Versicherer die Risiken so gruppieren wie sie wollen.

Damit können die Versicherer Kunden beliebig akzeptieren oder ablehnen?

Ja. Das war grundsätzlich schon früher so. Nur wird sich heute natürlich jeder Versicherer präzis überlegen, welche risiken er noch übernehmen will.

Ist die Entsolidarisierung, die wir heute beobachten, also das Lehrgeld für die Deregulierung?

In gewissem Sinne ja, doch man muss Solidarität richtig verstehen. Von Solidarität würde ich erst sprechen, wenn gezielt die einen mehr bezahlen, um andere zu begünstigen. Mit den früheren Branchentarifen hatten wir eine solche Solidarität. Das ist heute nicht mehr so, ausser bei den Sozialversicherungen. Ein Privatversicherer würde in der deregulierten Welt, wie wir sie heute haben, rasch seine Existenz in Frage stellen, wenn er sozialen Ausgleich organisieren würde».

 

Der Mann spricht Klartext, etwa:

«Der Versicherer ist - ob er will oder nicht -  in den Augen der Gesellschaft immer mit schicksalhaften Ereignissen verbunden. Und so wird auch sein Verhalten rasch danach beurteilt, ob er sich gerecht oder ungerecht verhält. In einer Welt der Ratings und der Finanzanalysen wird dies aber kaum berücksichtigt - leider».

Oder:

«Ich denke, die Risikoselektion wird sich auf kurze Frist noch verschärfen. Mit der Deregulierung der Versicherungswirtschaft hat man die Entwicklung zur individuellen Dienstleistungsunternehmung erzwungen. Dies hat betriebswirtschaftliche Konsequenzen. Die einzelne Versicherungsgesellschaft ist nicht mehr der Selbstbedienungsladen von früher. Heute will jede Firma ihre spezifischen Kundengruppe ansprechen und langfrisitig betreuen - eher im Sinne eines Hotels. Um dies zu erreichen steht Einschluss neben Ausschluss - wie bei allen anderen Dienstleistungen».

Wenn ich das lese, dann bin ich dankbar, dass es noch den Pfuusbus von Pfarrer Sieber gibt, aber die dortige Trägerstiftung hat offenbar grössere betriebswirtschaftliche Probleme gehabt,  die BP (Bergpredigt) verträgt sich offenbar mit der BWL (Betriebswirtschaftslehre) und NPM (Non-Profit-Management) hier nicht besonders gut.

Im Interview wird auch über das Schmerzmittel Vioxx gesprochen, dass der Pharmakonzern Merck zurückziehen musste, was zu gewaltigen Verlusten an der Börse führte, angesichts drohender Milliardenklagen in den USA.

Schauen wir nochmals genau in das Interview hinein:

Was bedeutet der Fall Vioxx für die Versicherungsindustrie?

Er steht für die Grenzen der Versicherbarkeit. Alle Industrieversicherer übernehmen nur noch sehr limitierte Haftungen. Mitschuld an der Entwicklung sind die Economies of Scale. Das heisst, dass immer mehr an Wert auf kleinem Raum konzentriert ist, der grösstmögliche Schaden damit immer grösser wird. Wenn ein einzelnes Medikament 30 Prozent des Unternehmens-Cashflows ausmacht, genügt im Schadenfall keine Haftpflichtdeckung der Welt. Solche Ereingnisse sind schlicht nicht mehr versicherbar. Wir erleben heute  Schäden von volkswirtschaftlicher Grössenordnung.

Kann sich Europa diesem Trend entziehen?

Zum einen nein, denn wir sind über die globalen Trends mit der Weltwirtschaft untrennbar verwoben. Zum anderen ja, nämlich in der Hoffnung, dass dem Missbrauch der Sammelklagen und der völlig unsinnigen Entwicklung der Anwalts- und Klageindustrie ein Riegel geschoben wird. Eine eigentliche Wende erwarte ich erst in zehn bis fünfzehn Jahren - sobald sich die Exzesse selbst zu hemmen beginnen».

Das Gespräch endet mit der Feststellung des Professors, «Zwang nämlich, kurzfristig und unter allen Umständen  mehr Gewinn zu generieren, selbst auf Kosten eines anständigen Geschäftsgebarens» führe dazu, dass der Staat wieder eingreife und dass man damit gerade das Gegenteil dessen erreichen werde, was die Deregulierung gewollt habe.

Ich erinnere mich – es muss schon ganz lange her sein – mal irgendwo etwas gelesen zu haben über die «organische Zusammensetzung des Kapitals», die sich so verhalten haben soll, dass das konstante Kapitel im Verhältnis zum variablen Kapital immer stärker angewachsen sei, wo war das bloss?

Aber vielleicht gehört das alles gar nicht hier her, vielleicht haben solche Begriffe heute gar keine Wirklichkeit mehr.

Es ist wirklich interessant, was einer der grossen Versicherungsspezialisten der Schweiz zu diesem Thema zu sagen hat. Fassen wir es zusammen:

die betriebswirtschaftliche Logik muss also nicht einfach einer volkswirtschaftlichen Rationalität entsprechen.

Haben wir da eine Binsenwahrheit entdeckt?

Wussten das nicht alle schon lange?

War da womöglich eine Absicht im Spiel?

Hat der Mann nicht gesagt, von Solidarität sei erst dann zu sprechen, wenn die einen mehr bezahlen, um andere zu begünstigen?

Hat das möglicherweise etwas mit unseren Steuerkurven zu tun und den terms of trade mit der sogenannten Dritten Welt, dass die einen immer reicher werden, hier und dort, die Reichen nämlich und die anderen immer weniger zur Verfügung haben, obwohl alle insgesamt mehr erhalten?

 

Was aber hat soziale Arbeit mit Dienstleistung zu tun?

Ich denke, dass dies eine wichtige Frage ist, denn die Umrüstung aller Aspekte der sozialen Arbeit in die Logik der Dienstleistungserbringung befindet sich im vollen Gang. Ohne dass diese Entwicklung auch nur im geringsten die Kosten für die anfallenden Strukturveränderungen unserer Gesellschaft aufzufangen wüssten.

Zweifellos hängt dies mit der semantischen Verschiebung von der «Gefahrengemeinschaft» zum «statistischen Kollektiv» auch zusammen und der damit verbundenen Vorstellung sich auf bestimmte so genannt «Kernkompetenzen» zu «fokussieren».

Der Fokus ist der Herd, im übertragenen Sinne der Brennpunkt einer Linse, indem Archimedes mit seinen Hohlspiegeln die Lichtstrahlen der Sonne auf einen bestimmten Punkt hin ausrichtete, also fokussierte, gelangt es ihm, von den Hafenmauern von Syrakus aus, Teile der angreifenden römischen Flotte in Brand zu stecken. Das ist allerdings schon lange her. Heute meint man mit Fokussieren in der Wirtschaft, man solle sich dort weiter spezialisieren, wo man so stark sei.

Vor einiger Zeit, am Ende der Achtziger Jahre war es wichtig, sich zu diversifizieren. Heute spricht man von «Verschlanken» vom «stromlinienförmig machen» von Strukturen und Prozessen, es wird so etwas wie eine organisatorische Anorexie gepflegt, wenn man menschliche Krankheitsbilder auf Organisationen anwenden möchte.

Es ist bekanntlich möglich über das Medium der Sprache jede Menge inhaltlsleeren semantichen Unsinn in mehr oder weniger grammatikalisch korrekte Sätze zu giessen (vgl. meinen Satz über die organisatorische Anorexie von eben).

Dies scheint heute auch mehr und mehr im Kontext der Sozialen Arbeit um sich zu greifen. Da werden Tischbomben gezündet, aus denen an Stelle von Pappnasen und Kunstschnäutzen der Betriebswirtschaft entnommene Begriffe hüpfen, die tough klingen, aber manchmal im Wortsinne behindert sind, ihre Bedeutung zu entfalten, weil der Kontext aus dem sie kommen in einer bestimmten Weise nicht auf den Kontext passt, in dem sie angewendet werden.

Vielleicht müssen die Anreize noch geschaffen werden, die zu «weniger Behinderung» führen, sicher braucht es dann ein Abfederungsprogramm zum sozial verträglichen Abbau gefährderter Arbeitsplätze. Vorderhand allerdings vermeint man noch immer über das Einführen einer sich an betriebswirtschaftliche Metaphern anlehnden Semantik eine Beitrag zur Kostendämpfung im Bereich der Sozialen Arbeit zu leisten.

Im Sonntagsblick vom 5. Dezember  2004 finde ich in der Rubrik «Konsum / Multimedia» auf Seite 47 die Schlagzeile «Künstliche Denkassistenz nimmt Formen an. Das Hirn und seine Ersatzbank».

Es wird  hier über sogenannte Forschungen berichtet, die an amerikansichen Universitäten stattfinden sollen, mit dem Ziel Chips zu entwickeln, die Funktionen von Teilen des Hirns nachahmen und die dereinst in Organismen eingesetzt werden könnten.

Zitat: «Bisher verstehen die Forscher noch nicht, wie diese Prozessoren im Detail funktionieren – sie ahmen einfach das elektrische Verhalten des Hirns nach. Man analysiert die Impulse eines gesunden Hirns und kopiert dessen elektronische Reizmuster anschbliessend aufs Silikon.

Ein Forschungsteam am der University of Southern California möchte einen solchen Chip im Laufe der nächsten Monate an Ratten testen, wenn er sich im Tierversuch bewährt, kann er auch in Menschen eingepflanzt werden».

Und weiter:

«Mit neuartigen Schnittstellen zwischen Gerhin und Elektronik soll es bald möglich sein, unsere Gedanken wie auf einer Festplatte abzulegen und sie dann nach Belieben wider abrufen zu können. Die University of Minnesota und AT&T forschen an einem Verfahren, mit dem ein «Schnappschuss» der Gehirnaktivität  angefertigt werden kann - ein erster Schritt zum perfekten Gedächtnis».

Das Bedrückende an dieser Vorstellung ist, dass nun jeder Seich, den ich denke einfach aufbewahrt werden kann. Es wird kein seliges Vergessen mehr geben können, wenn ich mich jeden Abend an den Speicher hänge, um die Gedanken des Tages aufzuzeichnen.

Weshalb wird soviel auf dieser Ebene geforscht? Und weshalb wird nicht mit dem gleichen Elan das Problem der sozialen Ungleichheit angegangen?

Wäre es nicht schön, am Mittwochnachmittag, die Festplatte abzudaten und einen BA in sagen wir, «Erziehungswissenschaft» hochzuziehen, während man locker im Denklabor im Keller des Instituts für elektronisches Studium sitzt, einen Espresso schlürft (nikotinfrei versteht sich).

Langsam nähern wir uns der Welt des Professors Abdul Nachtigaller, der in Zamonien wohnhaft, über sieben Aussenhirne verfügt und dort eine ganze Kammer unausgereifter Patente hütet.

Aber der Text geht weiter und führt direkt wieder zu unserem Thema der Behinderung unter dem Titel:

«Die Sinne

Bilder, Geräusch und Geschmacksimpulse ergeben für uns erst einen Sinn, wenn sie vom Gehirn verarbeitet worden sind. Die klassischen Helfer der Sinensorgane wie Brillen oder Hörgeräte  werden schon bald direkte elektronische Untrstützung erhalten. Bei bestimmten Arten von Blindheit könnte den Betroffenen mit Kameras geholfen werden, die ihre Bildsignale direkt in die entsprechenden Hinrregionen senden. So baut die US-Firma Optobionics küsntliche Augensensoren, welche Bilder direkt über den Sehnerv in das Gehirn des patienten übertragen.

Heute ist es noch nicht möglich, von Prothesen übermittelte komplexe Sinneseindrücke direkt im Gehirn abzubilden. Doch ist es vorstellbbar, dass wir irgendwann den Geschmack eines saftigen Steaks werden geniessen können, ohne tatsächlich ein Stück Fleisch im Munde zu haben. Ein Erlebnis, das nicht nur Vegetarier irritieren dürfte».

Gewiss nicht. Es dürfte auch all jene Hungendern in Afrika erfreuen, denen so auf elektronische Weise, beim Verhungern doch wenigstens der Genuss eines nicht existierenden Essens das Gefühl zu vermitteln veramg, wie schön die schöne neue Welt doch wirklich ist.

Ich vermag es nicht einzuschätzen, wie viel in diesem Artikel im SonntagsBlick reiner Blödsinn ist.

Vieles erinnert mich an die Artikel die ich in meiner Jugend in Zeitschriften wie Hobby gelesen habe, wo einfach irgendwelche Konzepte der Gegenwart in die Zukunft extrapoliert worden sind, nach dem Motto, wenn man einen Menschen auf eine Erdumlaufbahn schiessen kann, dann kann man auch einen auf den Mond bringen und dann auf den Mars, dann kann man bald auch auf dem Mond Ferien machen usw.

Dennoch ist die Utopie, die Sinnlichkeit von den Gegenständen zu trennen, eine faszinierende Sache, jedenfalls in unserer im Christentum verankerten Kultur, wo man es so gut versteht, die Seele vom Körper zu trennen.

Nun in Ansätzen ist das ja nicht so neu. Jeder weiss um den Unterschied zwischen dem Hören eines Konzertes und dem Hören einer Aufnahme des gleichen Konzertes und wir alle wissen, dass Theater etwas ganz anderes ist, als das gefilmte Theater, vom Film will ich mal gar nicht sprechen.

Beim Bild- und Tonträger ist es bereits gelungen, die Totatlität der sinnlichen Eindrücke zu vereinfachen und zu reinszenieren. Und beim Betrachten des Films verspüren wir ähnliche Gefühle wie im Theater. Das Theater selber ist ja schon die Simulation des Gesellschaftlichen. Insofern ist das nicht so neu, wie es tönt. Es ist nur die radikale Fortschreibung einer Tendenz, die sich durch unsere Kultur zieht.

Ich stelle mir vor, wie faszinierend es sein könnte, als Chefkoch, die Gerüche und Geschmäcker seiner Gerichte aufzuzeichnen und zu lizenzieren. Es gäbe dann eine «Synsensual Food Inc.», welche mit der Vermarktung dieser Geruchskonserven betraut wäre, während vielleicht eine Firma wie «Synsensual Adds Inc.» die entsprechenden Chips ins Ohr z. B. verpflanzen könnte.

Man könnte dies auf das Wunderbarste mit dem hierzulande traditionellen Ohrenschmuck bei Männern und Frauen kombinieren. Das Ganze liesse sich zweifellos auch auf die Sexualität ausweiten, es wäre möglich, den «echten» Orgasmus eines bekannten Filmstars bei bei«Synorgazmic Inc.» zu mieten, im Abo, jede Woche ein neuer. Die multiple Persönlichkeit würde den Individuen ungeahnte Möglichkeiten bieten sich selbst immer wieder als ein anderer zu inszeniseren, ohne je wissen zu müssen, wer man ist. Das Leben als unendliche Party.

Auch das ist selbstverständlich nicht neu. Die Bahnhofkioske quellen über vor dieser und anderer Art von positiver Utopie. Dahinter steht die Utopie der Menschen als frei programmierbare Maschinen. Und Maschinen sind immer trivial, auch die sogenannt-nichttrivialen. Denn zur Maschine gehört das Konzept der identitschen Reproduzierbarkeit.

Sollte die Entwicklung der Gesellschaft in die in diesem Artikel angesprochene Richtung gehen. Dann wäre das heute als beschädigt bezeichnete Leben das einzige, das sich solcher Tendenz zu entziehen vermöchte, gleichsam als Residual des Nicht-Trivialisierbaren.

Es wäre dann wieder zu fragen, was denn die Basis solcher sozietaler Trivisalisierbarkeit sei. Die Antwort ist, es ist ein System der allseitigen Vergleichbarkeit. Das Geld gewissermassen als bare Münze des Apriori des gesellschaftlichen Denkens.

Während der Sonntagsblick seinen Blick auf die Zukunft der Menschen als Cyborgs richtet, durchaus auch mit dem Schielen auf den sonderpädagogischen Nutzen solcher Entwicklung, im Sinne von «was für wunderbare Prothesen könnten wir doch machen», schlagzeilt die SonntagsZeitung vom 5. Dezember 2004 auf ihrer Frontpage: «Sozialhilfe-Kosten steigen um bis zu 30 Prozent. Mehr Fürsorgeempfänger, weil Arbeitslose früher ausgesteuert werden».

Die Drehtür dreht sich weiter. Vor drei Wochen war der Anstieg der IV-Renten dramatisch, nun geraten die Sozialhilfebudgets aus den Fugen und an der Arbeitsfront ist vorläufig keine Entspannung auszumachen.

Ganz schön viel Dampf im System der sozialen Hilfe in diesem unseren Land.