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Ich weiss nicht, wie Negri das alles fast, da ich das Buch noch nicht gelesesen habe. Jedenfalls geht es in beiden Fällen um jeweils gesellschaftliche Verhältnisse. Das Gegenübertreten des Menschen seinem Arbeitsgegenstand gegenüber ist immer gesellschaftlich vermittelt und es ist heute über ein Kapitalverhältnis vermittelt, dessen Kern die Institution der Lohnarbeit ausmacht. In der Institution Lohnarbeit treten sich die beiden Pole jenes gesellschaftlichen Verhältnisses, das das Kapital ist, tatsächlich gegenüber. Im Sinne von Marx trifft die tote Arbeit (das Kapital) auf die lebendige Arbeit (das gegen Lohn vermietete Arbeitsvermögen); die tote Arbeit braucht die lebendige, um die in ihr akkumulierten Reichtümer zu »realisieren«.

Der Schreck des Rezensenten betrifft die Forderung einer »Ökonomie für die Menschen«, die bei Hardt und Negri auf einer  Philospie des Körpers und des Fleisches beruht (die »Arbeit des Dynisos« lässt grüssen. Das Kapital, so der Vorwurf Hardt/Negri wolle das Leben kontrollieren, am liebsten patentieren doch:

»Das Fleisch der Multitude ist reines Potenzial, eine noch ungeformte Lebenskraft und damit ein Element des sozialen Seins, das fortwährend auf die Fülle des Lebens abzielt«.

Hier wird dem Rezensenten mulmig. Er verweist auf seine deutsche Herkunft und deren dortiges kollektives Unbewusstes und sagt über sich: »Zu tief steckt ihm das kollektive Unbewusste von Körper und Bewegung in den Knochen. Ein Strang von Lebensphilosophie führte eben auch in den Nationalsozialismus«. Dem ist nur zuzustimmen, ebenso der Skepsis gegenüber dem Denken eines Bachtin und dessen Überhöhungh von Bewegung und Karneval.

Die Kritik am Ganzen des Zivilisationsprozesses ist vollends hilflos, wenn sie in der präsumptiven Aufhebung desselben besteht. Es kann keineswegs darum gehen, die Aufhebung solcher Prozesse anzustreben, die zwar, und das ist richtig und unbestreitbar, der Welt eine vollständig neue Entfremdung der Menschen von ihrer inneren und äusseren Natur gebracht haben, die aber eben andererseits durch die Unterdrückung und Sublimation der Triebe auch die Möglichkeiten geschaffen haben, die Beziehungen zwischen den Menschen zu Verrechtlichen, auch in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit. Die Lohnarbeit ist unbestrittenremassen eine Verbesserung gegenüber Leibeigenschaft, Hörigkeit und Sklaverei.

In diesem Zusammenhang ist eine weitere Buchbesprechung von Interesse; sie befindet sich auf Seite 47 in der Rubrik »Feuilleton« unter dem Titel »Wille und Willfährigkeit« und handel von der deutschen Ausgabe von Michel Foucaults Vorlesungen über das Konzuept der »Gouvernementalität« Es meint die Umstellung dirigistischer auf reglatorische Mechanismen der Machtausübung. Es geht also um Phänomene, die in einer anderen Sprache von Gramsci als »Hegemonie« bezeichnet worden sind und die Althusser und in seinem Gefolge Poulantzas und auch Lourau in der Analyse dessen festgemacht haben, was bei ihnen »ideologische Staatsapparate« genannt wird. Poulantzas hat das meiner Meinung sehr präzise in dem formuliert, was er als Aufgabe des »Blocks an der Macht« bezeichnet, nämlich die Fähigkeit dieses Machtblocks, die Macht auszuüben, solange er in der Lage ist, die Gesamtinteressen der herrschenden Klassen, teilweise auf Kosten einzelner ihrer Fraktionen zu formulieren und den beherrschten Schichten des Volkes Erfolge in ihren Partizipations- und Verteilungskämpfen zuzugestehen, ohne dabei die grundlegende Hegemonie der herrschenden Klassen zu gefährden.

In der aktuellen Politik der Schweiz erleben wird gerade, wie die freisinnige Partei genau diese Fähigkeit verloren hat und wie die Schweizerische Volkspartei, die sich selbs ganz stark als Bewegung versteht, angefangen hat, ihr den Rang abzulaufen.

Auf Seite 57 unter der Rubrik »Zürich und Region« findet sich die Gerichtsberichterstattung aus dem Zürcher Obergericht, wo über  die Verurteilung eines ehemaligen Betriebsleiters einer geschützten Werkstatt berichtet wird. Das Obergericht hat ein Urteil  wegen sexueller Übergriffe auf Frauen von 3.5 Jahren Zuchthaus auf eine Reduktion der Strafe auf 27 Monate Gefängnis entschieden, da die Anzahl der KlägerInnen im Laufe des Prozesses zurückgegangen ist. Die Frage des Missbrauchs sich als kompliziert herausgestellt hat, weil einige der Frauen mit den sexuellen Handlungen einverstanden gewesen sind und weil schliesslich der Verteidiger eine »Wahrnehmungsstörung« des Mandanten festgestellt hat, für die er eine psychiatrische Begutachtung einholen lassen wollte, es sei denn, das Gericht mindere das Strafmass und gestehe dem Angeklagten diese »Wahrnehmungsstörung« zu.

Die beiden Bücher, deren Besprechungen an verschiedenen Orten in der genannten Zeitungsausgabe oben kurz geschildert wird, haben viel zu tun mit dem hier kurz geschilderten Urteil. Vielmehr als uns vielleicht lieb ist. Sexuelle Übergriffe in geschützten Werkstätten haben immer damit zu tun, dass die ungleichen Machtbalancen durch die übergirffigen Männer zu ihren Gunsten verwendet werden, nichtzuletzt, um genau diese Macht immer wieder zu demonstrieren. Der Trick mit der » Wahrnehmungsstörung« des ehemaligen Wrkstattleiters ist  besonders gelungen, rückt es ihn selbst doch in die Nähe seiner Opfer.

Am 16. Oktober wollte ich mit einer Reihe von Studierenden nach Bern an die Demonstration der Behindertenverbände, dieses sozialpolitische Spiel zu untersuchen, das im Zusammenhang mit der Neuordnung des Finanzausgleichs gespielt wird, aber es finden sich keine Leute, die mitkommen wollen. Also lasse ich es auch bleiben. Wir werden die Präsenz dieses Events in den Printmedien untersuchen.

Die Verbände der Einrichtungen für Menschen mit einer Behinderung befürchten eine Verschlechterung der Situation der durch sie betreuten Menschen. Interssant ist daran, dass die grössere Bürgernähe über die Kantone als tendenzielle Verschlechterung verstanden wird. Gleichheit und Zentralismus scheinen ideologisch zusammenzugehören. Im sozialen Nahraum steigt die Angst vor dem Neid der anderen. Die Schweiz ist in vielem eine Neidgenossenschaft, das war schon immer so, eher fremdenfeinlich und neidisch; die Bösen sind immer die anderen gewesen, sind es heute noch und werden es auch morgen so sein. Das Mitgefühl kriege man geschenkt, den Neid müsse man sich verdienen, sagte Edith Hunkeler in einem Interview. Ich gebe ihr recht.